Weltkrieg, Zweiter: Blitzkrieg, die erste Phase des Kriegs in Europa

Weltkrieg, Zweiter: Blitzkrieg, die erste Phase des Kriegs in Europa
Weltkrieg, Zweiter: Blitzkrieg, die erste Phase des Kriegs in Europa
 
Am 1. September 1939 um 4.45 Uhr überfiel die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung Polen (»Fall Weiss«). Sie löste damit einen Konflikt aus, der mit einer gewissen inneren Zwangsläufigkeit über kurz oder lang in einen europäischen und schließlich in einen Weltkrieg eskalieren sollte. Hitler riskierte das militärische »Vabanquespiel« im Bewusstsein der Konsequenz eines langen und verlustreichen Ringens und setzte dennoch immer wieder darauf, einen Gegner nach dem anderen isoliert »erledigen« zu können. Am 3. September erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg, wenig später auch die Commonwealthstaaten Australien, Neuseeland, Kanada, Südafrika und Indien. Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt ließ, obwohl ihm innenpolitisch durch die Neutralitätsgesetze noch die Hände gebunden waren, keinen Zweifel daran, dass er materiell und psychologisch den Westmächten das gewaltige »Arsenal der Demokratie« voll zur Verfügung stellen und bei einer Existenzbedrohung Großbritanniens auch den Schritt von der »bewaffneten Neutralität« in die offene Kriegführung tun werde. Stalin betrachtete wohl auch wie Hitler den am 23. August 1939 geschlossenen Hitler-Stalin-Pakt eher als ein Zweckbündnis auf Zeit. Danzig war für Hitler längst nicht mehr »das Objekt, um das es geht«, sein eigentliches Ziel war »die Erweiterung des Lebensraumes im Osten«.
 
 Die Wehrmacht als Instrument der aggressiven Außenpolitik Hitlers
 
Mit dem Ziel, die Kontinentalherrschaft zu erringen, bevor die USA ihr überlegenes Kriegspotenzial entfalten und die Sowjets ihn im Osten erpressen würden, solange die Wehrmacht noch im Westen gebunden war, hatte sich Hitler unter Zugzwang gesetzt. Als die Briten nicht, wie erhofft, den Kampf zu deutschen Bedingungen einstellten, fühlte sich der Diktator getrieben, immer wieder »blitzartig« die militärische Initiative zu ergreifen, neue Fronten zu eröffnen und den Gegner »niederzuringen«, bevor dieser ihm zuvorkam. Die dadurch ausgelöste unerhörte Belastung der nur beschränkten personellen und materiellen Ressourcen des Reichs musste bald an ihre Grenzen stoßen, wenn es nicht innerhalb kurzer Zeit gelang, den Kontinent in den Dienst der deutschen Kriegführung zu stellen.
 
Der Angriff auf Polen
 
Dem deutschen Zangenangriff von Ostpreußen und Pommern — durchgeführt von der Heeresgruppe Nord unter Fedor von Bock — und von Schlesien aus — vorgenommen von der Heeresgruppe Süd unter Gerd von Rundstedt — vermochten die Polen nur wenige Wochen Widerstand entgegenzusetzen. Das Schicksal Polens war besiegelt, als am 17. September die polnische Regierung auf rumänisches Gebiet übertrat und am selben Tag die Rote Armee, wie mit Berlin abgesprochen, nach Ostpolen einrückte. Nach schweren deutschen Luftangriffen kapitulierte am 27. September die seit zehn Tagen eingeschlossene polnische Hauptstadt. Am 6. Oktober erlosch auch der letzte Widerstand.
 
Am 28. September hatten der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop und der unter dem Decknamen Molotow bekannte russische Außenminister (eigentlich Wjatscheslaw Michajlowitsch Skrjabin) in einem geheimen Zusatzabkommen zum deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag eine Grenzkorrektur der im Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August ebenfalls geheim festgelegten beiderseitigen Interessensphären vereinbart: Die deutsche Inte- ressenzone wurde von der Weichsel bis an den Bug ausgeweitet, dafür wurde das bis dahin zum deutschen Einflussgebiet gehörende Litauen zusätzlich zu Finnland, Estland, Lettland, Ostpolen und Bessarabien dem sowjetischen Machtbereich zugeschlagen. Bereits gegenüber Polen entfaltete der Ostkrieg seinen brutalen rassenideologischen Vernichtungscharakter gegen Juden und »slawisches Untermenschentum«. Der polnische Staat wurde ausgelöscht, polnische Gebiete wurden über Westpreußen und Posen hinaus dem »Großdeutschen Reich« in den neuen Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland angegliedert und »Restpolen« als Generalgouvernement und koloniales »Nebenland« des Reichs zur kriegswirtschaftlichen Ausbeutung freigegeben. Bevölkerungsverschiebungen zur »Germanisierung« der neuen Reichsgebiete, die gezielt einsetzende Ausrottung der polnischen Führungsschicht sowie die Konzentration der Juden in Großgettos (u. a. in Warschau) als Vorstufe zu ihrer späteren physischen Liquidierung nahmen das vorweg, was zwei Jahre später in noch viel größerem Maßstab der UdSSR bevorstehen sollte.
 
Die Besetzung Norwegens und Dänemarks
 
Der von Zeitnot diktierte Plan Hitlers, noch im Herbst 1939 in einem Zuge sofort zur Offensive gegen Frankreich »durchzustarten« und damit den zermürbenden und zeitraubenden »Sitzkrieg« im Westen einseitig zu beenden, scheiterte am Widerstand der Militärs, an Verschleißerscheinungen in der Ausrüstung des Heeres und an den winterlichen Witterungsbedingungen.
 
Im Dezember 1939 überzeugte das Oberkommando der Marine unter Erich Raeder Hitler, dem nunmehr endgültig für das Frühjahr 1940 anvisierten Westfeldzug die Besetzung Norwegens und Dänemarks, das Unternehmen Weserübung, vorzuschalten. Es galt, die bereits durch den Finnisch-Sowjetischen Winterkrieg und durch das geplante Eingreifen der Westalliierten gefährdete Zufuhr des schwedischen Erzes über den Hafen Narvik und die gesamte Nordflanke mit den Ostseezugängen zu sichern und von Norwegen aus eine operative Basis für die Atlantikkriegführung gegen Großbritannien zu schaffen. Die am 9. April eingeleiteten Landungsoperationen trafen in Norwegen auf erbitterten Widerstand der einheimischen Kräfte, die von britischen und französischen Truppen unterstützt wurden. In Kopenhagen ergaben sich König Christian X. und die Regierung kampflos und sicherten so ihrem Staat eine geduldete »Souveränität«. Der Rückzug der Alliierten nach dem deutschen Angriff im Westen zwang die Norweger am 10. Juni 1940 zur Kapitulation. Ihr Land wurde dem harten Regiment des Reichskommissars Josef Terboven unterstellt.
 
Vom Sitzkrieg zum Angriffskrieg — Die deutsche Offensive gegen Frankreich
 
Am 10. Mai 1940 begann schließlich die Westoffensive (»Fall Gelb«) unter Verletzung der niederländischen, belgischen und luxemburgischen Neutralität mit dem Ziel, Frankreichs militärische Kraft zu zerschlagen, nach der französischen Niederlage doch noch ein Arrangement mit den Briten herbeizuzwingen und dann endlich den Rücken im Westen für den eigentlichen Lebensraumkrieg im Osten freizuhaben. Die lange Winterpause hatte nicht nur zur erheblichen Verbesserung der Ausrüstung des Heeres geführt, sondern vor allem auch dem General Erich von Manstein die Möglichkeit eröffnet, mit dem Operationsplan »Sichelschnitt« jenes durch seine Unkonventionalität geniale Erfolgskonzept zu entwickeln und an Hitler heranzutragen. Dieser setzte ihn gegen die Bedenken seines Generalstabs durch: Während die Heeresgruppe B (von Bock) im Norden in die Niederlande und nach Belgien einrückte und die Heeresgruppe C (Wilhelm von Leeb) im Süden am Oberrhein verharrte, trug die Heeresgruppe A (von Rundstedt) mit dem massierten Einsatz von Panzer- und motorisierten Verbänden, unterstützt von einer überlegenen Luftwaffe, den Hauptangriffsstoß durch die als unwegsam geltenden Ardennen. Unter Ausnutzung des Überraschungsmoments erreichten die Panzerspitzen in schnellem Vormarsch am 20. Mai bei Abbéville die Kanalküste und konnten dadurch die nördlich dieses »Sichelschnitts« stehenden französischen, britischen und belgischen Kräfte in Flandern von ihren Verbindungen nach Frankreich abschneiden. Der Befehl Hitlers, vor Dünkirchen zu halten, um die bereits überstrapazierten Panzerverbände für die bevorstehende Schlacht in Frankreich zu schonen, ermöglichte es den Briten, in einer improvisierten Aktion (Unternehmen »Dynamo«) bis zum 4. Juni ihr Expeditionskorps und einen Teil der eingeschlossenen französischen Truppen, insgesamt 338000 Mann, unter Zurücklassung ihrer Ausrüstung aus der »Sichelfalle« in Dünkirchen zu evakuieren. Am 15. Mai kapitulierten die Niederlande, die dem Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart unterstellt wurden, am 28. Mai Belgien, das fortan zusammen mit den beiden nordfranzösischen Départements Nord und Pas-de-Calais dem Militärbefehlshaber Alexander von Falkenhausen unterstand. Der Angriff auf die nach dem neuen französischen Oberbefehlshaber Maxime Weygand benannte improvisierte Abwehrlinie entlang der Somme und der Aisne am 5. Juni leitete die zweite Phase des Westfeldzugs (»Fall Rot«) ein. Aber die Front konnte im Chaos der zurückflutenden Verbände und Flüchtlinge nicht mehr stabilisiert werden. Am 14. Juni wurde Paris kampflos besetzt. Die »Schlacht um Frankreich« war in wenigen Tagen entschieden. Am 22. Juni unterzeichnete Frankreich auf Betreiben des neu ernannten Regierungschefs Marschall Philippe Pétain im Wald von Compiègne einen Waffenstillstand in dem historischen Salonwagen, in dem die deutsche Kapitulation vom 11. November 1918 unterzeichnet worden war. Elsass, Lothringen und Luxemburg wurden faktisch annektiert, die französische Flotte und Luftwaffe demobilisiert und der unbesetzte Süden der Regierung Pétain mit Sitz in Vichy zum Aufbau eines autoritären Regimes, des État Français, zugewiesen. Italien konnte aus seinem späten Kriegseintritt gegen Frankreich am 10. Juni bei dem Waffenstillstand vom 24. Juni keinen nennenswerten Gewinn schlagen.
 
 Deutsche Hegemonie in Europa
 
Der militärische Triumph Hitlers vom Nordkap bis hinunter zur Biskaya konnte kaum darüber hinwegtäuschen, dass jeder »Blitzsieg« ihn vom »Endsieg« und von der erhofften unumschränkten Kontinentalhegemonie weiter wegführte. Denn der Widerstandswille Großbritanniens, seit dem 10. Mai unter dem Kriegspremier Winston Churchill, versteifte sich. Darüber hinaus traten die USA immer unverhohlener an die Seite der Briten.
 
Realitätsferne Strategien — Die Selbstbehauptung Großbritanniens
 
Im Sommer 1940 wurden in der deutschen Führung noch einmal vergleichsweise offen alle Möglichkeiten durchgespielt, Großbritannien niederzuringen, bevor die USA eingriffen: 1. direkter Druckansatz gegen das Inselreich mithilfe von Luftwaffe und Flotte und dann gegebenenfalls Landung (Unternehmen »Seelöwe«); 2. Bildung eines eurasischen Kontinentalblocks gegen Großbritannien und die USA »von Madrid bis Yokohama« unter Einbeziehung der Sowjetunion (Konzeption Ribbentrops); 3. »Kriegführung an der Peripherie«, um zusammen mit Italien und Spanien (Unternehmen »Felix« zur Eroberung Gibraltars) die britische Weltmachtstellung von Gibraltar bis zum Suezkanal, im Nahen Osten, in Ägypten und in Ostafrika aufzurollen, in Kooperation mit Japan die Bastionen in Fernost und in Indien zum Einsturz zu bringen und in Nordwestafrika und auf den Kanarischen Inseln Stützpunkte für den Atlantikkrieg gegen die beiden angelsächsischen Seemächte zu gewinnen (Konzeption des Marineoberkommandos unter Raeder); 4. Wendung gegen die Sowjetunion ohne Entscheidung im Westen, um den Briten ihren letzten »Festlandsdegen« zu nehmen und den Japanern den Rücken für die Bindung der USA im Pazifik freizuhalten; dann sollte in einem zweiten Schritt von Südrussland aus die britische Stellung in Mittelasien bis zum Indischen Ozean aufgerollt werden (Konzeption Hitlers).
 
Das Unternehmen »Seelöwe« scheiterte nach mehrfachen Abänderungen des Angriffstermins spätestens am 17. September mit der Verschiebung der Landung »bis auf weiteres«. Denn der deutschen Luftwaffe gelang es unter schweren Verlusten auf beiden Seiten in der »Luftschlacht über England« (Operation »Adler«) nicht, die Luftabwehr der Briten in Südengland und ihre Luftrüstungsindustrie niederzukämpfen und die Luftherrschaft über dem Kanal und dem geplanten südenglischen Invasionsraum zu sichern. Auch die U-Boote und die Überwasserstreitkräfte konnten in der zweiten Phase der Atlantikschlacht, die von Juni/Juli 1940 bis März 1941 andauerte, nicht die Zufuhren nach Großbritannien abschneiden.
 
Ribbentrops Kontinentalblockkonzeption ließ sich im Sommer und Herbst 1940 nicht realisieren, weil besonders Hitlers Bemühungen scheiterten, Spanien, Frankreich und die UdSSR in die Front gegen Großbritannien einzureihen. Was von der weltumspannenden Kontinentalblockkonzeption blieb, war der Dreimächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan, eine dekorative bündnispolitische Fassade, um den völligen Mangel an enger militärstrategischer Kooperation und Koordination zwischen den drei Achsenpartnern in Europa und Fernost zu kaschieren. Gegenüber Raeders Peripheriestrategie im Mittelmeer gab der Diktator stets zu erkennen, dass dieser Raum für ihn eindeutig ein Nebenkriegsschauplatz war. Im Gegensatz zur mangelnden Koordination zwischen den Achsenpartnern verstärkten Großbritannien und die USA ihre Zusammenarbeit, sodass sich Letztere bald in einem »unerklärten Krieg« befanden.
 
Hilfe für den Bundesgenossen — Krieg auf dem Balkan
 
Im Herbst 1940 durchkreuzte der italienische Diktator Mussolini mit dem Angriff auf Griechenland das strategische Konzept Hitlers, die potenziell stets von den Briten bedrohte Südflanke Europas und hier besonders den Balkan ruhig zu stellen und aus dem Krieg herauszuhalten, um alle Kräfte ungestört nach Osten richten zu können. Der nicht mit Berlin abgestimmte Angriff vom 28. Oktober 1940, der sich durch eine erfolgreiche griechische Gegenoffensive schnell in eine Niederlage verwandeln sollte, führte auf der einen Seite wie im Ersten Weltkrieg britische Land-, See- und Luftstreitkräfte auf den Balkan und damit mänischen Erdölfelder bei PloieÇti; dies zwang Hitler auf der anderen Seite kurzfristig und wider Willen, die Besetzung Griechenlands (Unternehmen »Marita«) und dann nach dem prowestlichen Staatsstreich in Belgrad am 27. April 1941 auch die Jugoslawiens ins Auge zu fassen, um die Gefährdung des eingeleiteten Aufmarsches gegen die Sowjetunion vom Süden her auszuschalten. Zwar konnte der am 6. April 1941 beginnende Balkanfeldzug mit der jugoslawischen (17. April) und griechischen (21. April) Kapitulation und der Vertreibung der Briten relativ schnell beendet werden, nur die Eroberung Kretas Ende Mai 1941 durch Luftlandetruppen erwies sich als außerordentlich verlustreich. Der Balkanfeldzug band aber zusätzlich starke Truppenkontingente als Besatzung und zur Bekämpfung der jugoslawischen Partisanen unter Josip Tito. Jugoslawien wurde durch erhebliche Gebietsabtretungen an Deutschland, Italien, Ungarn, Bulgarien und Albanien und nach Gründung des deutsch-italienischen Satellitenstaats Kroatien unter Führung der faschistischen Ustascha-Bewegung auf »Altserbien« in den Grenzen von 1912 reduziert und unter deutsche Besatzungsverwaltung gestellt. Griechenland erhielt teils eine deutsche, teils eine italienische Besatzung.
 
 Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion
 
Am 18. Dezember 1940 erging Hitlers Weisung »Nr.21« an die Wehrmacht, »auch vor Beendigung des Krieges gegen England Sowjetrussland in einem schnellen Feldzug niederzuwerfen (Unternehmen Barbarossa)«. Anhaltende Bemühungen, diesen Feldzug als Präventivkrieg zu rechtfertigen, werden dadurch eindeutig widerlegt, dass es weder Anzeichen für konkrete Angriffspläne Stalins noch für derartige Überlegungen Hitlers gibt. Hitler nutzte die scheinbare Gunst der Stunde: Noch schien die deutsche Wehrmacht im Nimbus ihrer »Blitzsiege« der gerade in der Reorganisation und Modernisierung befindlichen Roten Armee überlegen. Aber wie lange noch? Das optimal günstige »strategische Fenster« drohte sich über kurz oder lang zu schließen. Der für 1942 angenommene Kriegseintritt der USA ließ es geraten erscheinen, rechtzeitig den längst anvisierten »Lebensraum im Osten« zu erobern und dadurch die deutsche Stellung auf dem Kontinent auch wehrwirtschaftlich unangreifbar zu machen. Am 22. Juni 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Rumänien, Italien, die Slowakei, Finnland und Ungarn schlossen sich dem Angriff an. Auf der Gegenseite formierte sich die Anti-Hitler-Koalition aus Westalliierten und Sowjetunion, die bis dahin an der Divergenz der Interessen gescheitert war. Ein Sonderwaffenstillstand mit Deutschland sollte nun ausgeschlossen sein. Hitler ließ von Anfang an keinen Zweifel daran, dass es sich für ihn um einen »Kampf zweier Weltanschauungen gegeneinander« handelte mit dem Ziel der »Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz« und, wie sich bald zeigen sollte, der »Ausrottung des Judentums«. Er wollte diesen ideologisch-rassistischen Krieg »ohne Schonung und völkerrechtliche Rücksichtnahme« auch gegenüber der Zivilbevölkerung führen. Gegen die Normen des Völkerrechts wurden »Vernichtung« und »Ausrottung« zu Leitkategorien der Kriegführung. Konkretisiert wurden sie in einem Erlass vom 13. Mai 1941, der die Kriegsgerichtsbarkeit im Umgang der Truppe mit »feindlichen Zivilpersonen« außer Kraft setzte, und im Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941. Ausführende Organe des Vernichtungsfeldzugs besonders gegen die jüdische Bevölkerung im Osten waren hinter der Front operierende vier Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD (Sicherheitsdienst), SS, Polizeibataillone, einheimische Miliz und Hilfswillige ebenso wie Einheiten der Wehrmacht. In enger Absprache mit den Einsatzgruppen leisteten sie nicht nur logistische Unterstützung, sondern beteiligten sich aktiv an Mordaktionen. Das völkerrechtswidrige Vorgehen der deutschen Besatzungsmacht half mit, einen Partisanenkampf hinter der Front zu entfesseln, der auf beiden Seiten mit großer Erbitterung und Grausamkeit geführt wurde und häufig barbarische Vergeltungsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung auslöste. Die von den Deutschen in Gang gesetzte Spirale von Gewalt und Gegengewalt sollte bis in die letzten Kriegstage 1945 hinein eskalieren und schließlich gnadenlos auf die deutsche Bevölkerung zurückschlagen.
 
Große deutsche Raumgewinne — Steigender sowjetischer Widerstand
 
Die deutsche Wehrmacht marschierte am 22. Juni 1941 mit 153 Divisionen, etwa 3 Millionen Mann, die 75 Prozent des Feldheers ausmachten, in drei Heeresgruppen in die Sowjetunion ein. Die Verbündeten stellten 600000 Mann. Die Rote Armee verfügte damals über eine Gesamtstärke von 5 Millionen Mann. Strategisches Ziel Hitlers war es, in einem »Blitzfeldzug« von drei bis vier Monaten bis Herbst die Rote Armee möglichst in Kesselschlachten westlich von Düna und Dnjepr vernichtend zu schlagen und die UdSSR ihrer wichtigsten Rüstungs- und Industriezentren, Rohstoffvorkommen und agrarischen Überschussgebiete vor allem in der Ukraine und im Donezbecken zu berauben. Wieder waren es die Ausnutzung des Überraschungsmoments, die technisch überlegene Luftwaffe, die selbstständig operierenden und beweglichen Panzerverbände und die Schnelligkeit und Durchschlagskraft der weiträumigen Umfassungsoperationen, aber auch die ungünstige frontnahe Konzentration der Sowjetverbände, die in den ersten Wochen zu gewaltigen Geländegewinnen und hohen Gefangenenzahlen führten. Die Heeresgruppe Nord (von Leeb) eroberte in schnellem Tempo das Baltikum und schnitt am 8. September Leningrad für 900 Tage von allen Landverbindungen ab. Die Heeresgruppe Mitte (von Bock) erreichte am 16. Juli Smolensk. Die Heeresgruppe Süd (von Rundstedt) nahm im Zusammenwirken mit der Heeresgruppe Mitte am 19. September Kiew und besetzte bis Oktober das Donezbecken und die Krim außer Sewastopol. In mehreren großen Kesselschlachten bei Białystok, Minsk, Uman, Smolensk, Kiew sowie Wjasma und Brjansk machte die Wehrmacht bis Mitte Oktober 3 Millionen Gefangene. Von insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs kamen 3,3 Millionen durch Hunger, Seuchen, Massenerschießungen und in Konzentrationslagern um, ein weit höherer Prozentsatz als bei den deutschen Kriegsgefangenen. Der unerwartet zähe Widerstandswille der Sowjetsoldaten in dem von Stalin proklamierten »Großen Vaterländischen Krieg«, die pausenlose Auffüllung der Verluste durch die Mobilisierung immer neuer Reserven, die Gefährdung des Nachschubs durch Partisanen und ein ungewöhnlicher Materialverschleiß und Ausfall bei Panzern und Fahrzeugen führten aber bereits Ende Juli zu dem Eingeständnis des Generalstabschefs Franz Halder, dass es sich in diesem Krieg keineswegs um einen »Blitzfeldzug« bewährten Musters handele. Die am 2. Oktober 1941 durch die Heeresgruppe Mitte vorgetragene Offensive gegen Moskau sollte sich zunächst im herbstlichen Schlamm und dann endgültig Anfang Dezember im winterlichen Kälteeinbruch etwa 30 km vor Moskau festlaufen. Die Truppe war total erschöpft. Motoren und automatische Waffen versagten, da das Gros der Verbände auf den Winter nicht vorbereitet war. Nur der am 16. Dezember 1941 erfolgte »Haltebefehl« Hitlers zum »fanatischen Widerstand« in zäh zu verteidigenden »Igelstellungen« verhinderte tiefere Fronteinbrüche unter den Schlägen der am 5. Dezember einsetzenden sowjetischen Gegenoffensive.
 
Die deutsche Niederlage vor Moskau
 
Am 19. Dezember 1941 entließ der Diktator den Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, und übernahm selbst diese Funktion. Die Bilanz des zweiten Kriegsjahrs war für die Angreifer eine Katastrophe: Bis Herbst 1941 hatte die Wehrmacht mit 831000 Gefallenen, Vermissten, Verwundeten und Kranken mehr als ein Viertel ihrer Anfangsstärke vom Juni verloren. Bis zum Frühjahr 1942 kamen noch einmal Verluste von 900000 Mann hinzu. Die Panzerdivisionen hatten teilweise nur noch 35 Prozent ihrer Gefechtskraft. Demgegenüber war die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee trotz aller deutschen Erfolge nicht gebrochen. Die jenseits des Urals verlagerten Produktionsstätten arbeiteten auf Hochtouren. Der Nachschub an Menschen, Waffen und Ausrüstung strömte offenbar unbegrenzt. Manche Anzeichen sprechen dafür, dass sich im Dezember 1941 auch Hitler der in seiner engeren Umgebung gewonnenen Einsicht nicht verschloss, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. Sein auf die radikale Alternative »Sieg oder Untergang« reduziertes Weltbild — »Deutschland wird entweder Weltmacht oder überhaupt nicht sein« (»Mein Kampf«) — verbot ihm jedoch bis zuletzt jeden Gedanken an einen Friedensschluss mit den Sowjets. — Die dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 folgende, aber an sich durch den Dreimächtepakt nicht zwangsläufig gebotene deutsche Kriegserklärung an die USA am 11. Dezember täuschte einen Bewegungsfreiraum für Initiativen vor, den Hitler tatsächlich längst verloren hatte. Er wollte Japan fortan um jeden Preis im Krieg halten, um die USA im Pazifik zu binden. Entscheidend aber war: Die äußerst knapp bemessene Frist für die »blitzartige« Erringung einer auch wirtschaftlich unangefochtenen Vormachtstellung auf dem eurasischen Kontinent vor Kriegseintritt der USA war mit der letztlich kriegsentscheidenden Niederlage vor Moskau Anfang Dezember 1941 abgelaufen. Es war nur noch eine Frage von Wochen, bis die Amerikaner, die der Sowjetunion seit August 1941 Kriegsmaterial lieferten, ihr übermächtiges Kriegspotenzial mobilisieren würden.
 
Prof. Dr. Bernd-Jürgen Wendt
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Weltkrieg, Zweiter: Totaler Krieg, die zweite Phase des Kriegs in Europa
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Hitler-Stalin-Pakt: Weg zum Zweiten Weltkrieg
 
 
Bartov, Omer: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges. Aus dem Englischen. Reinbek 1995.
 Gilbert, Martin: Der Zweite Weltkrieg. Eine chronologische Gesamtdarstellung. Aus dem Englischen. München u. a. 1991.
 Gruchmann, Lothar: Totaler Krieg. Vom Blitzkrieg zur bedingungslosen Kapitulation. München 1991.
 Weinberg, Gerhard L.: Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs. Aus dem Amerikanischen. Stuttgart 1995.
 Wendt, Bernd Jürgen: Deutschland 1933-1945. Das »Dritte Reich«. Handbuch zur Geschichte. Hannover 1995.
 
Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge, Forschungsbilanz, herausgegeben von Wolfgang Michalka. Lizenzausgabe Weyarn 1997.

Universal-Lexikon. 2012.

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